Heilbronner Stimme vom 10.4.2000
1000 Gegner des Theaterstücks "Corpus Christi" demonstrieren auf dem Heilbronner Kiliansplatz - Angriff auf Aidshilfe Unterland
Zum Wohle Gottes und der Spendenbüchse
Von Uwe Grosser
Vorbei ist es mit dem gewaltlosen Protest gegen das Stück "Corpus
Christi", das im Theater Heilbronn gespielt wird. Bei Demonstratioen
von "Corpus Christi"-Gegnernam Samstag auf dem Kiliansplatz kan
es erstmals zu Handgreiflichkeiten. Nur das blitzschnelle Eingreifen der
Polizei, die mit 70 Beamten vor Ort war, verhinderte eine Eskalation der
Gewalt.
Rund 1000 Demonstranten hatten sich gegen 11 Uhr auf dem Platz
versammelt, davon etwa 700 syrisch-orthodoxe Christen aus ganz Baden-Württemberg.
Bereits um 10 Uhr waren sie von der syrisch-orthodoxen Kirche in der
John-F.-Kennedy-Straße aus zum Kiliansplatz marschiert.
Um 12.20 Uhr stürmte ein Gruppe Jugendlicher dieser
Glaubensgemeinschaft auf ein schweigendes, zehnköpfiges Grüppchen
Gegendemonstranten der Aids-Hilfe Unterland los, das sich am Rande des
Kiliansplatzes hinter dem Komödiantenbrunnen aufgestellt hatte. Die
Polizei griff sofort ein. Weitere heranstürmende Jugendliche wurden
von ihren älteren Glaubensbrüdern zurückgehalten. Bei der
Rangelei wurden zwei Beamte zu Boden gerissen, einem in die Hand gebissen.
Der Beißer, gegen den Strafanzeige gestellt wurde, und zwei weitere
Gewalttäter aus Göppingen und Ludwigsburg wurden vorläufig
festgenommen. Erst als der syrisch-orthodoxe Pfarrer Isa Demir über
Polizeilautsprecher auf Aramäisch zur Mäßigung aufrief,
beruhigten sich die Gemüter.
Schon zu Beginn der Kundgebung hatten Polizisten alle Hände voll zu
tun, um Theaterintendant Klaus Wagner vor Angriffen zu schützen. Der
wollte eine kurze Stellungnahme abgeben, was aber vom Initiator der
Demonstration, dem Arbeiterpriester ohne kirchliches Amt, Winfried Pietrek
aus Lippstadt, verhindert wurde. Dann könne er ja gleich den Teufel
in seiner Messe predigen lassen.
Auch andere Vertreter des Theaters, die sich der Diskussion stellen
wollten, wurden heftig beschimpft. Ein deutscher Christ mit mächtigem
Kreuz um den Hals spuckte vor Pressesprecher James McDowell aus und
beschimpfte ihn: "Du Drecksack." Das Stück hat er nach
eigenem Bekunden nicht gesehen.
Die Mehrheit der Demonstranten blieb friedlich, sang Kirchenlieder,
lauschte den Reden und hielt Jesusbilder, Marien-Puppen und Transparente
hoch: "Wer Jesu spottet, richtet sich selbst", "Gott ist
heilig" oder "Himmelsbach? Höllenpfuhl; Heil-bronn? Kloake;
Theater? Nazis", stand da zu lesen.
Redner Pietrek ließ zweieinhalb Stunden lang die hinlänglich
bekannten Schimpfkanonaden auf das Heilbronner Theater los und mahnte
ansonsten: "Deutschland muss wieder christlich werden", "Tun
sie Buße meine Herren Stadtverordneten, solange noch Zeit dazu ist"
oder "Antichristen machen sich in Deutschland breit." Für
etwas Verwirrung sorgte er mit der Aussage: "Das Stück ist viel
zu unbedeutend, als dass wir deswegen nach Heilbronn gekommen wären."
Weshalb denn sonst? "Zur Rettung der christlichen Kultur in
Deutschland."
Darüber hinaus fiel er nur durch sein Hofieren der rechtsextremen "
Deutschland-Bewegung" auf und seine im Stile amerikanischer
Fernsehprediger mehrfach geäußerte Aufforderung, die
herumgereichte Spendenbüchse ordentlich zu bedienen. Um 13.30 Uhr
beendete Pietrek die Demonstration mit der deutschen Nationalhymne und
einem "Gruß an die Mutter Jesus, die hier alsw Dirne geschmäht
wird".
10.04.2000
Anmerkung: Mittlerweile ist der Artikel komplett