Stuttgarter Zeitung vom Montag, den 10.4.2000

Schlägertrupps greifen Demonstranten an

Verletzte und Festnahmen bei Kundgebung fundamentalistischer Christen gegen Theater

HEILBRONN. Zu gewalttätigen Ausschreitungen ist es bei einer Demonstration fundamentalistischer Christen und rechtsgerichteter Gruppen gegen das Theaterstück "Corpus Christi" in Heilbronn gekommen.

Von Wieland Schmid

Zwei Polizisten wurden leicht verletzt, und drei syrisch-orthodoxe Christen wurden festgenommen, als am Samstagmittag auf dem Heilbronner Kiliansplatz mehr als tausend Menschen gegen die Aufführungen des Homosexuellen-stücks "Corpus Christi" im Heilbronner Stadttheater protestierten. Die Kundgebung, die von katholischen und syrisch-orthodoxen Geistlichen zusammen mit der rechtsgerichteten "Deutschland-Bewegung" organisiert worden war, bildete den vorläufigen Höhepunkt einer monatelangen Serie von Protesten, anonymen Morddrohungen und der Androhung eines Raketenanschlags auf das Theater.
Nach Schätzungen der Polizei waren etwa zwei Drittel der Demonstranten aus ganz Baden-Württemberg angereiste syrische Aramäer, die sich zum orthodoxen Christentum bekennen. Außerdem zählte die Polizei etwa 250 Mitglieder der Partei Christliche Mitte , und zwei Dutzend Bibeltreue Christen. Flugblätter verteilten Mitglieder der Deutschland-Bewegung des ehemaligen Friedensforschers Alfred Mechtersheimer, die von der Bundesregierung "rechtsextremistischer Bestrebungen" verdächtigt wird. Hauptorganisator war nach seinen eigenen Angaben der katholische Priester Winfried Pietrek aus Lippstadt.
Zu gewalttätigen Ausschreitungen kam es, als ein Schlägertrupp junger syrisch-orthodoxer Christen ohne Vorwarnung eine Gegendemonstration der Heilbronner Aidshilfe angriff. Die Aramäer prügelten auf junge Frauen und Homosexuelle ein und zerrissen deren Plakate mit der Aufschrift "Homosexualität ist okay" und ,"Jesus wäre für euch ein Skandal". Bei den Auseinandersetzungen gingen auch zwei Polizisten zu Boden. Einem der Beamten biss ein orthodoxer Christ in die Hand. Der Beamte hat gegen den Täter Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt. Der Aramäer und zwei seiner Landsleute im Alter von 18 bis 32 Jahren wurden vorläufig festgenommen, weil sie zunächst Angaben zur Person verweigerten. Nach Angaben der Polizei handelt es sich um deutsche Staatsangehörige aus Göppingen und aus dem Landkreis Ludwigsburg.
Der 67-jährige Pfarrer Winfried Pietrek, der sich selbst als ehemaligen Missionar und vom Bistum Osnabrück freigestellten "Arbeiterpriester" bezeichnet, forderte während der zweieinhalbstündigen Kundgebung ein "Deutschland nach Gottes Geboten" und betonte unter Bravorufen ,man lasse die "Kultur in Deutschland nicht beschmutzen". Pietrek rief die Demonstranten dazu auf, möglichst viele Strafanzeigen gegen Stadt und Theater Heilbronn zu erstatten: "Beschäftigen wir unsere Staatsanwälte. Notfalls können wir ja Staatsanwälte aus dem Ausland importieren - ich zahle euch einen!" Der farbige Priester Joseph Magabeko aus München forderte "Mut vor den Feinden Gottes" und stellte die Frage "warum immer das Unheil von deutschem Boden ausgehen muss".
Die Polizei hatte rund 70 Beamte der örtlichen Schutz- und Kriminalpolizei sowie der Bereitschaftspolizei eingesetzt. Sie mussten auch den Heilbronner Theaterintendanten Klaus Wagner vor aufgebrachten fundamentalistischen Christen schützen. Wagner hatte sich am Rande der Kundgebung zu Diskussionen gestellt, bei denen es zu Raufereien kam. Auch andere Theaterleute, die von aufgebrachten jungen Aramäern erkannt und umzingelt worden waren, mussten auf Anraten der Polizei vorsichtshalber freiwillig die Fußgängerzone verlassen.

Lesen Sie hierzu auch den Kommentar von Wieland Schmid