echo am Sonntag / Heilbronn vom 9.4.2000

Beten, singen, Polizist gebissen

1.000 Demonstranten gegen "Corpus Christi" - Ein Polizist verletzt - Drei Festnahmen

Von Jürgen Dieter Ueckert

Singen und beten gestern ab 9 Uhr auf dem Heilbronner Kiliansplatz. Ab 10 Uhr zieht ein Demonstrationszug, rund 550 Menschen, von der syrisch-orthodoxen Kirche im Süden der Stadt mit Plakaten ("Unser Glaube ist kein Theater") in die Innenstadt, um an der Protestversammlung gegen das Theaterstück "Corpus Christi" teilzunehmen.
Gegen 11 Uhr sind rund 1.000 Menschen auf dem Killansplatz versammelt - bewacht von 70 Polizisten. Marienpuppen, Jesusbilder, Kruzifixe werden hochgehalten. Auf einem Plakat ist zu lesen: "Die Nazis verspotteten Gott. Hast. Du Krieg und Trümmer von Deutschland vergessen?" Auf einem anderen: "Gott ist größer als Euer verfluchtes Schweinetheater."
Von einem Podium wettert der Arbeiterpriester Winfried Pietrek (67) aus Lippstadt gegen das Heilbronner Theater: ,,75.000 Unterschriften haben wir gegen dieses miese Stück gesammelt - wir wollen nicht, dass die Jahrhunderte alte christliche Kultur Deutschlands zerstört wird." Theater-Intendant Klaus Wagner, so der Priester, darf bei dieser Kundgebung jedoch nichtreden: "Dann könnte ich auch den Teufel in der Messe bei mir predigen lassen." Trotzdem ist Wagner sowie Jürgen Frahm, Verwaltungsdirektor, und die gesamte Führungsspitze des Stadttheaters anwesend - diskutieren am Rande der Veranstaltung, versuchen zu erklären, dass ein schwuler Jesus auf der Bühne kein Angriff gegen den christlichen Glauben ist. Die Theaterleute müssen von der Polizei vor gewalttätigen Protestierern geschützt werden.
Die "Aldshilfe Unterland" ist bei der zu Zweidrittel von syrisch-orthodoxen Christen besuchten Kundgebung mit Plakaten vertreten: "Jesus wäre für Euch ein Skandal" und "Homosexualität ist ok". Gegen 12.2O Uhr kommt es nach einer Schubserei ("Seid ihr auch solche Dreckschweine?") zwischen einer Gruppe syrisch-orthdoxer Jugendlicher und Aidshilfe-Protestanten zu einem Gerangel. Plakate werden zerstört, Polizei greift ein. Zwei Beamte werden zu Boden gerissen. Einem Dritten wird in die Hand gebissen. Drei syrisch-orthodoxe Jugendliche, zwei mit deutschem Pass aus Göppingen, einer aus Ludwigsburg, werden festgenommen, darunter auch der "Beißer" - nach der Veranstaltung jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt. Der gebissene Polizist stellt Strafanzeige wegen Körperverletzung.
Priester Pietrek grüßt immer wieder die anwesende rechtsextreme "Deutschlandbewegung", verweist auf Juden und Moslems, auf deren Wertvorstellungen es keine derartigen Angriffe auf deutschen Bühnen gäbe, und beendet die Veranstaltung gegen 13.30 Uhr mit der deutschen Nationalhymne. Vornehmlich ältere Frauen stecken Pietrek später dicke Geldspenden in die Taschen. Der Dank: Ein Segen und ein "Gott vergelt's".