Stuttgarter Zeitung vom 23. Mai 2000

Ein Maulkorb in Karlsruhe

Das Badische Staatstheater sagt "Corpus-Christi"-Gastspiel ab

Von Tim Schleider

Wir werden uns keinen Maulkorb umbinden lassen. Wenn man einmal nachgibt, sind Tür und Tor geöffnet für diese Idioten." So äußerte sich am 30. April Pavel Fieber, der Generalintendant des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe, in der örtlichen Sonntagszeitung "Boulevard Baden". Er wehrte sich mit den markigen Einlassungen gegen Versuche ultrafrommer christlicher Kreise, mittels Androhung von Protesten und Demonstrationen das geplante "Corpus Christi" Gastspiel des Heilbronner Theaters in Karlsruhe am Freitag, 14. Juli, platzen zu lassen. Inzwischen denkt man am Badischen Staatstheater offenbar anders über die Sache. Wie das Haus gestern gegenüber der Stuttgarter Zeitung bestätigte wird nach Gesprächen mit der Polizei die "Corpus Christi"-Aufführung in Karlsruhe doch noch abgesagt.

Bekanntlich ist das Heilbronner Theater seit Monaten mit Mord- und Bombendrohungen konfrontiert, wenn das umstrittene Stück "Corpus Christi" des amerikanischen Dramatikers Terence McNally auf dem Spielplan steht. Strenggläubige Gruppen und Eiferer aus Christentum und Islam nehmen Anstoß daran, dass McNally in seinem Stück die Jesus-Geschichte von einer Gruppe Homosexueller nachspielen und nacherleben lässt. Um Solidarität mit der Heilbronner Bühne zu demonstrieren, wollten darum fünf Theater in Baden-Württemberg die Inszenierung als Gastspiel präsentieren.

Die Karlsruher, sind nun allerdings nicht mehr dabei. Die bereits angemeldete Demonstration und eine erwartete Gegendemonstration machten, so hieß es, nach Gesprächen mit den Ordnungsbehörden die Sicherheitslage unbeherrschbar, insbesondere, da parallel zu "Corpus Christi" im Kleinen Haus auf der Bühne des Großen Hauses "Die lustige Witwe" laufen soll. Die Intendanz fürchtet nun, dass dessen Publikum durch die Proteste auf dem Vorplatz des Hauses über Gebühr in Mitleidenschaft gezogen wird. Eine offizielle Stellungnahme war aus dem Staatstheater vor Redaktionsschluss nicht zu bekommen.

So waren's nur noch vier. Die Gastspiele in Ulm (27. Juni), Pforzheim (2. Juli), Tübingen (8. Juli) und Freiburg (8. Juli) stehen, obwohl zumindest auch in Ulm die Reihen offenkundig zu bröckeln beginnen. In. jedem Fall können die "Corpus Christi"-Gegner einen wichtigen Etappensieg feiern: Mit massiven Drohungen ist es ihnen gelungen, die Aufführung eines ihnen missliebigen Theaterstückes zu verhindern.

Derweil zeigen sich die Heilbronner unerschrocken: Am kommenden Freitag steht "Corpus Christi" wieder auf dem Spielplan, auch wenn ein Sprecher des Theaters nicht ausschließen mag, dass zuvor wohl wieder die Sprengstoffspürhunde der Polizei das Parkett durchschnüffeln müssen. Im übrigen ist die Vorstellung ausverkauft.