Südwest-Presse vom 27. Mai 2000

Corpus Christi / Reaktionen auf Absage

"Intendant meint die Freiheit der Operette"

Was sagen der OB und Kulturschaffende dazu, dass der Theaterintendant das Gastspiel "Corpus Christi" wegen befürchteter Auseinandersetzungen gestrichen hat?

"Ich habe dem Intendanten den Rücken gestärkt, als er die Aufführung nach Ulm holen wollte, weil ich meine, dass eine solche Frage allein die Theaterverantwortlichen zu entscheiden haben und nicht der Gemeinderat. Unter keinem Oberbürgermeister wurde in Ulm in den Spielplan oder in Gastaufführungen hineinregiert. Auch unter mir nicht. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass ich zu seiner jetzigen Entscheidung stehe." OB Ivo Gönner betont die Freiheit des Theaters, zu entscheiden, was in Ulm gespielt wird. "Gegen alles andere würde ich mich mit Händen und Füßen wehren." Er habe "Corpus Christi" gelesen, fand es nicht "umwerfend und schon gar nicht gotteslästerlich". Fundamentalistische Schärfe sei völlig unangebracht. "Man hätte das Stück zeigen und danach zivilisiert diskutieren sollen", sagte Gönner zu unserer Zeitung. Was er nach der Rückkehr des Intendanten prüfen werde, seien Gerüchte, nach denen dem Theater Kürzungen des Budgets angedroht worden sein sollen, falls dem Heilbronner Theater in Ulm eine Bühne verschafft werden. "Wenn das stimmt", sagte Gönner, "werde ich das im Gemeinderat in aller Klarheit auf den Tisch bringen."

"Schade!" Er habe sich schon für eine Karte für diese Aufführung vormerken lassen, berichtete Dr. Joachim Gerner, in der Stadtverwaltung zuständig für kulturelle Angelegenheiten. Warum schade? Weil das Stück vermutlich eine kontroverse Diskussion über Kultur ausgelöst hätte. Die fehlt ihm. Wie er zu dem Stück steht? "Die einen müssen die Kritik aushalten, die anderen die Aufführung."

Thomas Dentler zeigt sich "schockiert" und hat den Beginn seiner Theaterprobe gestern erst mal verschoben, als er von der Absetzung erfahren hatte. Dem Theatermann von der Ulmer "Westentasche" kommt die Sache freilich bekannt vor. "Das hatten wir schon vor 40 Jahren." Damals stand eine Godot-Aufführung des Westentaschen-Theaters im Kreuzfeuer öffentlicher Kritik, und überhaupt: "Das Problem gibt es, seit es Theater gibt." Schlimm daran: "Die Art dieser Auseinandersetzung trifft den Künstler. Er ist Leidtragender." Im Übrigen macht er in dieser Sache keinem persönliche Vorwürfe: "Das ist doch ein gesellschaftliches Problem: Wie gehe ich mit Theater um?"

Ralf Milde, Regisseur und Kulturmanager, versteht Ansgar Haag eigentlich nicht - und doch sehr gut. Wenn der Ulmer Intendant von der Freiheit der Kunst rede, "meint er die Freiheit der Operette". Haag sei weder visionär, noch mutig, sondern "ein Verwalter der Harmlosigkeit, was schon der recht simple Spielplan zeigt". Die Entscheidung, das Gastspiel abzusetzen sei hochnotpeinlich, aber sicherlich im Interesse der Wohlfühlstadt Ulm, die die Auseinandersetzung um McNally's scheue. Milde: "Ich hätte Ansgar Haag mehr Wahrhaftigkeit gewünscht."

"So viel künstlerische Freiheit muss sein", sagt vh-Leiterin Dr. Dagmar Engels. Für die Absetzung des Stücks hat sie folglich wenig Verständnis. Andererseits findet sie es ehrlich, dass Ansgar Haag seine eigene Feigheit eingeräumt habe. "Bedauerlich ist, dass er überhaupt davon ausgehen musste, dass das Gezerre über dieses Stück weitergeht. Ich dachte, die Ulmer sind mit mehr Toleranz gesegnet."