Schwäbische Zeitung vom 26. Mai 2000

Kommentar
Theater-Desaster, politischer Skandal

von Georg Linsenmann

Ein Ex-Ulmer gab als erster klein bei - in galoppierender Panik folgt ihm ein Noch-Ulmer: Nach Pavel Fieber in Karlsruhe nimmt nun auch Ulms Intendant Ansgar Haag das Heilbronner "Corpus Christi"-Gastspiel vom Spielplan: Ein Desaster! Darüber hinaus: ein Skandal! Denn der Ulmer Theaterleiter hat sich auch politischer Erpressung gebeugt.

Dass Ansgar Haags Entscheidung eine Katastrophe darstellt, das werden nicht alle so sehen. Verständlicherweise! Denn niemand soll sich korrumoieren, niemand muss sich seine Gründe für den Widerstand gegen die "Corpus-Christi"-Kiste abkaufen lassen. Aber was für die Gegner gilt, sollte erst recht für denjenigen gelten, der entschieden hatte, das Gastspiel nach Ulm zu holen: für den künstlerischen Leiter der ältesten komunalen Bühne der Republik. Deren mehr als respektabler, fast 360 Jahre dauernder Geschichte hat der aktuelle Theaterleiter nun ein dunkles Kapitel zugefügt.

Man muss sich klar machen: Die Einladung zum Gastspiel war eine von Bühnenverein, der Dachorganisation der Theater beschlossene Solidaritätsaktion für das bedrängte und von Gewalt bedrohte Heilbronner Theater. Auch eine Demonstration für die Freiheit der Kunst. Gilt das nun alles nicht mehr? Nur weil ein paar anmaßende Lokalpolitiker die Backen blasen? Weil Christen ihr Jesusbild entstellt sehen? Weil Ansgar Haag des Widerspruch nicht aushält, nicht in der Lage ist, die Debatte offen und offensiv zu suchen? So weht er mit einem weissen Lappen, läßt sich zurückscheuchen in die Kuschelecke, die warme, konfliktfreie Zone, macht das Ulmer Theater - Stolz und Herzstück der Kultur der Stadt! - in Sachen Kunstfreiheit zu einem lächerlicher Papiertiger: ein Desaster! Der Schaden, den der Triumph der Geschmackspolizei fürs geistige Leben dieser Stadt bedeutet, ist kaum absehbar. Und was werden sie als nächstes ins Visir nehmen? Ja wo leben wir eigentlich?

Haag, so zeigt sich, war nicht der Mann, diesen Anfängen zu wehren. Er ist noch nie ein starker Intendant gewesen. Nicht nach innen, nicht nach außen. Wie schwach der Herr der Einschaltquoten wirklich ist das wird jetzt kenntlich. Dass er auch von stadträtlicher Erpressung bedrängt, mit Etatstreichungen bedroht wurde, entlastet ihn kaum. Es weitet die Absage zu einem politischen Skandal erster Güte.