Stuttgarter Zeitung vom 27.05.2000 - Titelseite -

Protest gegen ¸¸Corpus Christi''

Dieses Theater muss sein!

Von Tim Schleider

Dass ein Theaterstück noch so viel Ärger produzieren kann: Seit Monaten hagelt es Proteste, Mahnwachen und Beleidigungen bis hin zu Bombendrohungen, wenn im Heilbronner Theater ¸¸Corpus Christi'' gespielt wird. Eine kleine, aber lautstarke Schar frommer Eiferer versucht, das Stück des amerikanischen Autors Terrence McNally vom Spielplan zu fegen, weil darin eine Gruppe Homosexueller Leben und Sterben Jesu nachspielt. Die Vorstellungen finden, so wie gestern Abend, unter Polizeischutz statt, was in Deutschland zum Glück nicht üblich ist.

Angesichts der militanten Protestaktionen rief der Deutsche Bühnenverein im März seine Mitglieder auf, aus Solidarität die Heilbronner zu Gastspielen einzuladen. Fünf Bühnen in Baden-Württemberg waren dazu bereit. Zwei Intendanten sind in dieser Woche allerdings wieder eingeknickt: das Badische Staatstheater in Karlsruhe und das Ulmer Theater wollen ihrem Publikum ¸¸Corpus Christi'' nun lieber doch nicht zeigen.

Worum geht es eigentlich bei dem ganzen Ärger? Um ein Stück, das, man muss es sagen, eigentlich nicht wirklich umwerfend ist. Da erleben dreizehn Schwule die Jesus-Geschichte nach. Das mögen die einen an sich schon als interessant und aufregend, die anderen dagegen per se als anstößig oder gar gotteslästerlich empfinden. In jedem Fall ist die Provokation vom Autor McNally wohl kalkuliert und nur Mittel zum Zweck, und zwar zum überaus frommen Zweck. Denn all das Verbotene und ab und an Verruchte, was da zur Sprache kommt, dient ja nur dazu, die Botschaft Jesu Christi hernach um so bibelreiner über die Rampe zu bringen. Das ist sehr amerikanisch und kommt über weite Strecken bieder wie ein Krippenspiel daher; gegen den Text von ¸¸Corpus Christi'' wirkt das aktuelle Passionsspiel der Oberammergauer geradezu wie eine Avantgardebühne.

Aber wie das Stück auch sein mag: ob es auf den Spielplan kommt, das entscheidet hier zu Lande allein der Theaterintendant. Denn erstens sind die Geschmäcker verschieden, und zweitens mag es ja sein, dass guten Schauspielern und einem guten Regisseur eine interessante Inszenierung gelingt. Und darüber wiederum hat das Publikum zu befinden. Es darf nach der Vorstellung, in Maßen sogar schon während dieser, klatschen, jubeln, protestieren oder stille sein, ganz nach Belieben. So ist es in einer Demokratie mit dem Theater bestellt; man nennt das auch Freiheit der Kunst. Auch ein mäßiges Stück genießt diese Freiheit. Und dass dieses an sich mäßige Stück namens ¸¸Corpus Christi'' in Heilbronn erfolgreich inszeniert ist, das belegen die ausverkauften Vorstellungen, zuletzt gestern Abend.

Das Problem sind in Heilbronn nicht die Leute im Theater, sondern jene davor. Die meisten von ihnen haben das Stück nicht gelesen, geschweige denn gesehen; sie beteiligen sich auch nicht an den zahlreichen vom Intendanten Klaus Wagner veranstalteten Podiumsdiskussionen. Ihr Ziel ist es, andere daran zu hindern, ¸¸Corpus Christi'' zu sehen, und dabei ist ihnen beinahe jedes Mittel recht, weil es ja ihrer Meinung nach dem Höchsten dient. Höhepunkt der Kampagne war bisher eine Demonstration Anfang April unter Leitung des katholischen Priesters Winfried Pietrek aus Lippstadt, der Tausende von Frommen aus Nord und Süd herbeirief, die sodann in bunter Mischung mit Rechtsradikalen und Islamisten für jede Menge Aufruhr und Schlägereien sorgten.

Aus Angst vor solchen Trupps der kleinbürgerlichen Vormoderne haben zwei veritable deutsche Theater nun einen Rückzieher gemacht. Die Karlsruher begründeten ihre Absage mit Rücksicht auf den Frieden in der Stadt. Aha. Doch wie ist es eigentlich bestellt um ebendiesen Karlsruher Frieden, wenn das dortige Theater seinen Spielplan nicht mehr frei gestalten kann? Noch prekärer ist die Begründung des Ulmer Intendanten Ansgar Haag, der meinte, er greife mit seiner Absage eine Forderung der CDU-Gemeinderatsfraktion auf, um so seiner Stadt ¸¸eine langwierige und unerfreuliche Diskussion'' zu ersparen. So, so. Müssen wir daraus schließen, der nicht eben erfreuliche Umstand, dass die lokale CDU den Theaterspielplan mitregiert, ist in Ulm derart gewöhnlich, dass alle sogleich und beruhigt wieder zum Tagesgeschäft übergehen?

Pfarrer Pietrek kündigte vor einigen Wochen an, wo immer in Deutschland das Stück ¸¸Corpus Christi'' auftauche, da seien er und seine Scharen zur Stelle, um für Widerstand zu sorgen. Zweimal hat er mit dieser Strategie nun schon Erfolg gehabt. Man wünscht sich, den Bühnen, der Öffentlichkeit, der Polizei und nicht zuletzt den Amtskirchen wäre es gelungen, gemeinsam solchen Umtrieben Einhalt zu gebieten. Egal, ob das Stück ¸¸Corpus Christi'' die ganze Aufregung nun wert ist oder nicht: dieses Theater muss in unserem Land jederzeit möglich sein!