Pforzheimer Zeitung vom 21.06.2000

OB: Sicherheitsaufwand zu hoch

Das umstrittene Theaterstück "Corpus Christi" hatte wegen der Darstellung des Jesu hohe Wellen geschlagen und Proteste vor allem kirchlicher Kreise ausgelöst. Der Auftritt des Heilbronner Theaterstücks in Pforzheim war denn auch als Solidaritätsaktion verstanden worden, um die Freiheit der Kunst zu schützen. Der Verwaltungsspitze schien freilich der Sicherheitsaufwand unverhältmäßig hoch - und Oberbürgermeister Joachim Becker entschloss sich, die Aufführung abzusagen.

Die Presse-Erklärung des Pforzheimer Stadtoberhaupts Becker hat folgenden Wortlaut:

"Aufgrund der Empfehlung der unter Erstem Bürgermeister Matthias Wittwer an diesem Dienstag tagenden Fachrunde zur Sicherheitslage in der Stadt Pforzheim anlässlich der am 2. Juli 2000 geplanten Aufführung des Theaterstücks "Corpus Christi" im Stadttheater habe ich mich entschlossen, die Aufführung dieses Theaterstücks abzusetzen.

Die Arbeitsgruppe, die aus Vertretern der Polizeidirektion Pforzheim, Herrn Kriminaldirektor Arnitz, dem Amt für öffentliche Ordnung sowie dem Rechtsamt der Stadt Pforzheim bestand, kam zur Einschätzung, dass angesichts der zu erwartenden Aktionen und Reaktionen anlässlich der Aufführung von "Corpus Christi" im Stadttheater Pforzheim ein unverhältnismäßig hoher und nicht mehr vertretbarer Sicherheitsaufwand durchzuführen wäre. Allein diese Sicherheitslage zwingt uns, das Stück abzusetzen.

Hinzu kommt das am 2. Juli 2000 stattfindende Endspiel um die Fußball-Europameisterschaft, das sich gemäß den Erfahrungen der Polizei erheblich auf die Stadt Pforzheim auswirken wird.

Die mittlerweile sogar über die Bundesrepublik hinaus bekannt gewordene Aufführung in Pforzheim hat zu zahlreichen Aufrufen, zu Demonstrationen und Gegendemonstrationen, Mahnwachen, Plakataktionen etc. geführt. Die Zahl der zu erwartenden Demonstranten geht nach Polizeiangaben bereits heute in die Tausende und ist derzeit nicht abschätzbar.

Nach Polizeiangaben ist bei der Aufführung von "Corpus Christi" mit Bombendrohungen, weiteren Straftaten, wie zahlreichen Farbschmierereien an öffentlichen Gebäuden, Sachbeschädigungen sowie Bedrohung von Personen zu rechnen. Dies bedingt einen nicht mehr hinnehmbaren Sicherheitsaufwand für das Stadttheater und die Besucher selber, so Oberbürgermeister Dr. Becker, angefangen von der frühzeitigen Räumung des Gebäudes, Durchsuchung des Gebäudes mit Sprengstoffexperten der Polizei und Spürhunden sowie Leibesvisitationen aller Besucher, Schauspieler und sonstiger Bediensteten. Dies bedingt erhebliche Einschränkungen für die Besucher während der Aufführung. Auch wäre eine starke Beeinträchtigung der Verkehrslage durch Straßensperren und weiträumige Umleitungen nicht zu vermeiden.

Alle Maßnahmen jedoch, und dies ist für mich entscheidend, gewährleisten nicht, dass eine gewalttätige Eskalation mit Gefährdung der Besucher des Theaterstücks tatsächlich vermieden wird.

Diese erhebliche Gefährdung von Menschen und Sachen und darüber hinaus die Beeinträchtigung des Ansehens der Stadt Pforzheim, wenn eine solche Eskalation stattfindet, haben letztlich zu dieser Entscheidung geführt.

Oberbürgermeister Dr. Joachim Becker und Erster Bürgermeister Matthias Wittwer haben die Mitglieder des gemeinderätlichen Planungsausschusses über die Sicherheitsproblematik und die Entscheidung der Verwaltung informiert, dass aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung das Stück abgesetzt wird. Die anwesenden Mitglieder des Planungsausschusses haben uneingeschränkt und einmütig die Entscheidung der Verwaltung gebilligt."