Hannoversche Allgemeine vom 28.06.2000

Ein Spiel. Nicht mehr.

Einen Einsatz im Theater hat der Polizist in seinen 30 Dienstjahren noch nicht erlebt. Aber wenn religiöse Fanatiker Intendanten mit Mord und Zuschauern mit Bomben drohen, scheint Vorsicht angebracht. Also schiebt er vor dem Theater Wache. Um etwa Harald Siebler zu schützen: Als der Regisseur das Staatstheater betritt, wird er, wie jeder Zuschauer an diesem Abend, auf Waffen durchsucht. Und wofür das ganze Theater? Für ein Spiel. Für eine Frage: "Was wäre, wenn?"

Kassels Intendant Christoph Nix hat das Stadttheater Heilbronn zu einem Gastspiel eingeladen. 13 Schauspieler zeigen "Corpus Christi" von Terrence McNally, in dem Christus und die Apostel als Homosexuelle dargestellt werden. Intendant Nix hat die Heilbronner nicht geholt, weil ihre Aufführung so brillant wäre. Sondern vor allem, um zu zeigen, dass strittige Stoffe auf die Bühne gehören, auch wenn christliche Eiferer toben. Das war in Heilbronn so und ist in Kassel nun nicht anders. Die Hessische Landesregierung und der Kasseler Magistrat haben die Aufführung gar missbilligt.

Jürgen Flimm, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, hatte zu Solidarität mit der Heilbronner Bühne aufgerufen. Nun wird Corpus Christi" noch in Hamburg, Weimar, Tübingen und Freiburg zu sehen sein. In Karlsruhe, Pforzheim und Ulm wurden geplante Gastspiele nach Protesten wieder abgesetzt.

In Nordhessen spielen nun 13 Heilbronner Schauspieler 13 nette amerikanische Jungs, die Jesus und seine Jünger spielen. Nur heißt Jesus hier Joshua, ist in der texanischen Stadt Corpus Christi aufgewachsen und hat noch auf der Highschool entdeckt, dass er schwul ist. Judas hat ihn darauf gebracht. Er ist es ja auch, der Jesus-Joshua an die Römer verkauft - bei McNally deswegen, weil er den Messias nicht für sich allein haben kann. Denn Jesus liebt alle Menschen.

Bei alldem behaupten weder der Autor noch der Regisseur, dass es so gewesen sei. Eher lässt sich - neben McNallys Versuch, seine eigene Geschichte zu reflektieren - aus dem glatten Stück die Frage herauslesen: Wie würde die Welt reagieren, wenn ein schwuler Habenichts behauptete, der Messias zu sein und Wunder vollbrächte? Mc Nallys Antwort ist schlicht und nicht neu: Vor Gott sind alle Menschen gleich.

Die meisten Kasseler sehen das offenbar auch so. Eskaliert ist am Abend der Solidaritäts-Aufführung jedenfalls nichts. Von den Pfui-Rufern vor dem Theater hielten am Ende nur ein paar Unentwegte durch. Zur Diskussion bis kurz vor Mitternacht erscheinen viele - aber offenbar nur solche, die mit der Aufführung einverstanden waren.

Julia Wahren