Die Welt vom 28.06.2000

Missbilligter Christus

Kommentar
Von Reinhard Wengierek

Religion gehört zum Leben wie Liebe und Tod. Also ist Religion immer auch zentrales Thema in allen Bereichen der Kunst. Der US-Autor Terrence McNally fragt in seinem Stück "Corpus Christi": Was wäre, wenn ein Mann mit dem Auftrag Gottes, die Botschaft der Nächstenliebe unter die Menschen zu bringen, homosexuell wäre und heute in den USA lebte. Der Pulitzer-Preisträger, 1939 geboren in texanischen Stadt Corpus Christi, schildert uns also den Lebens- und Leidensweg Jesu Christi als den eines Außenseiters - wie wir ihn kennen, nur ein kleines bißchen anders. Solcherart spielerische Vergegenwärtigung - der zeitgenössiche Joshua als von Mitschülern gedemütigter College-Absolvent, die Schar der Jünger als Anwälte, Ärzte, Architekten, Friseure, das Abendmahl mit reichlich Alkohol - ruft immer auch besonders Rechtgläubige auf den Plan, die mit dem Verdikt der Gotteslästerung gegen das Stück in den Krieg ziehen. So in Amerika, so in Heilbronn, an dessen Stadttheater das Werk zur deutschsprachigen Erstaufführung kam.

Jürgen Flimm, Regisseur und Präsident des Deutschen Bühnenvereins, ist einer der prominentesten Vetrteidiger der Heilbronner Aufführung. Er rief die deutschen Intendanten auf, die Inszenierung zu Gastspielen einzuladen und damit einer breiten Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen. Solche Gastspiele wurden bislang verhindert durch mehr oder minder indirekten Druck der Kommunalpolitik. Nun hat sich erstmals eine Landesregierung - die hessische - zu einer "Missbilligung" entschlossen, um den Kasseler Intendanten Nix zur Absetzung des "Christi"-Gastspiels zu bewegen. Nix sieht darin einen "besonderen Akt der Schwulenfeindlichkeit" des von der FDP regierten Kulturministeriums - wo doch die Liberalen sich bei jeder Gelegenheit gern als Träger des Regenbogenbanners aufspielen.

Dass hier eine Regierung einen von ihr bestallten Staatsintendanten erpresserisch gängelt, ist das eine. Dass solcher Druck unserer freiheitlichen Grundordnung entgegensteht, das andere. Es ist eine bürgerlich-liberale Koalition, die hier einer radikalisierten Minderheit nachgibt. Eine demokratische Regierung betrachtet es offenbar als unzumutbar, zugespitzte Betrachtungen über die Wirkung der Frohen Botschaft zuzulassen. Dabei gehört es immer noch zur erklärt vornehmlichen Aufgabe auch des von der öffentlichen Hand bezahlten Theaters, kontroverse Diskussionen anzuregen.

Den Autor erreichen Sie unter: wengierek@welt.de