Göttinger Tageblatt vom 29.06.2000

Jesus und die Pfui-Rufer

Kassels Intendant Christoph Nix hat das Stadttheater Heilbronn zu einem Gastspiel eingeladen. 13 Schauspieler zeigen "Corpus Christi" von Terrence McNally, in dem Christus und die Apostel als trinkfreudige Homosexuelle dargestellt werden. Intendant Nix hat die Heilbronner nicht etwa nach Kassel geholt, weil ihr Stück so brillant wäre. Sondern vor allem, um zu zeigen, dass strittige Stoffe auf die Bühne gehören, auch wenn christliche Eiferer toben und vor dem Theater mit Plakaten Spalier stehen. Auch wenn die Hessische Landesregierung und der Kasseler Magistrat die Aufführung missbilligen. Jürgen Flimm, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, hatte zu Solidarität mit der Heilbronner Bühne aufgerufen. Nun wir Corpus Christi" noch in Hamburg, Weimar, Tübingen und Freiburg zu sehen sein. In Karlsruhe, Pforzheim und Ulm wurden geplante Gastspiele nach Protesten, Gewaltandrohungen und Einwänden von politischer Seite wieder abgesetzt.

Nicht so in Kassel. Da spielen 13 Heilbronner Schauspieler 13 nette amerikanische Jungs, die Jesus und seine Jünger spielen. Nur heißt Jesus hier Joshua, ist in der texanischen Stadt Corpus Christi aufgewachsen und hat noch auf der Highschool entdeckt, dass er schwul ist. Judas hat ihn darauf gebracht. Er ist es ja auch, der Jesus-Joshua an die Römer verkauft - bei McNally deswegen, weil er den Messias nicht für sich allein haben kann. Denn Jesus liebt alle Menschen. Dafür wird er ans Kreuz genagelt.

Ums "Nageln", wie Freund Judas den Liebesakt nennt, geht es schon zu Anfang und dann immer wieder. Joshua (ungeheuer sympathisch: Luis Madsen) schafft es einfach nicht, dem Bild von einem echten jungen Ami der späten 50er gerecht zu werden und nach dem Schulball sein Mädchen flachzulegen. Joshua predigt auch seinen Jüngern immerzu, dass Liebe sich nicht in "ficken, ficken" erschöpft. Joshua verheiratet zwei Jünger miteinander, selbst tauscht er mit seinen "scheißcoolen" Jungs nur kuschelige Küsse. Bei alldem behaupten weder der Autor noch der Regisseur, so sei es gewesen. Eher lässt sich - neben McNallys Versuch, seine eigene Geschichte zu reflektieren - aus dem glatten, flüssig zu spielenden Stück die Frage herauslesen: Wie würde die Welt, wie würden wir reagieren, wenn ein schwuler Habenichts behauptete, der Messias zu sein, und Wunder vollbrächte? Wenn Jesus, der mit Zöllnern und anderen Underdogs zu Mittag aß, selbst ein Underdog wäre? McNallys Antwort ist schlicht schön und gar nicht neu: Vor Gott sind alle Menschen gleich, also ist es wurst, ob er Männlein oder Weiblein liebt oder wen auch immer.

"Das Stück ist ein Versuch, Grundsätze des Christentums ernst zu nehmen", sagt Regisseur Harald Siebler. Mit kontroverser Diskussion hat er vor der Heilbronner Premiere schon gerechnet, jedoch nicht entfernt geahnt, wie sie eskalieren könnte. Eskaliert ist am Abend der Kasseler Aufführung allerdings nichts. Von den Pfui-Rufern vor dem Theater haben am Ende nur ein paar Unentwegte durchgehalten.

Zur Podiumsdiskussion bis kurz vor Mitternacht erscheinen viele, aber offenbar nur solche, die mit der Aufführung ohnehin einverstanden waren. So kommt es natürlich zu keiner Kontroverse. Nicht durch die evangelische Theologin Eveline Valtink, nicht durch den Filmbeauftragten der Evangelischen Kirche Deutschland, Werner Schneider Quindeau, nicht durch Eva-Maria Schulz-Jander von der Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit. Das Stück sei keineswegs blasphemisch, bekräftigen alle, bestenfalls ein wenig naiv. "Die positive Botschaft kommt ungefiltert rüber", sagt der Literaturwissenschaftler Prof. Georg-Michael Schulz von der Gesamthochschule Kassel. Zum Schluss zitiert Moderator Klaus Krimmel, Chef des Hessischen Rundfunks in Kassel, den Brief eines 15-Jährigen. Es gehe in "Corpus Christi" nicht um den historischen Jesus. In der Tat. Sein Wort in der Christenheit Ohr.

Julia Wahren