Hamburger Abendblatt vom 29.06.2000

Passionsspiel als West-Side-Story

Hamburg - Gestern Abend fand auf dem Hamburger Kampnagel-Gelände das Gastspiel des Heilbronner Theaters mit "Corpus Christi" statt. Nur ein Dutzend Protestierer tauchten auf. In dem Stück werden Jesus und seine Jünger als Homosexuelle geschildert, eine Darstellung, die religiöse Eiferer in Südwestdeutschland zu Drohungen und Protesten herausgefordert hat. Der Kasseler Intendant Christoph Nix wurde gar mit Morddrohungen konfrontiert. Per Internet wurde zur Fatwa aufgerufen.

Gerichtlich wurde dem Stück bestätigt, dass es weder jugend-noch religionsfeindlich ist. Wer das Stück kennt, hält die Aufregung der Eiferer denn auch für maßlos. Zumal die meisten von ihnen die Inszenierung gar nicht gesehen haben. Verwunderlich ist auch, dass gerade diejenigen, die sich als gute Christen bezeichnen, mit Rache- und Gewaltfantasien reagieren. Was jedoch in Süddeutschland einige Menschen erregt, eckt in Hamburg nicht an. Das Hamburger Publikum ist liberal. Ausführliche Berichterstattung folgt morgen.

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Zur Premiere hieß es: Das Stück ist brav und bieder
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Hamburg - Was ist dran, an "Corpus Christi"? Zur deutschsprachigen Erstaufführung in Heilbronn schrieb "Theater heute" im vergangenen November: "Als das Stück vor einem Jahr in New York zur Uraufführung kommen sollte, schlugen die Wellen hoch . . . Jesus werde als Schwuler gezeigt, und die 'Katholische Liga' drohte mit der Hinrichtung des Autors. Das Stück hatte natürlich niemand von denen gelesen, die im Namen der Menschenrechte die Uraufführung hochgehen lassen wollten.

Hätte es nur jemand getan. Er hätte festgestellt: Alles ist viel schlimmer als vermutet. Und zwar nicht, weil das Stück blasphemisch wäre, sondern weil die Lebensgeschichte des Erlösers lediglich brav nachvollzogen wird und so bieder daherkommt, dass eines sicher ist: 'Corpus Christi' kann bedenkenlos als Passionsmusical für die Sonntagsschule empfohlen werden . . . Der Beginn ist lang. Tritt der erste Schauspieler nackt unter eine Dusche, um von einem Moderator getauft zu werden, dämmert es auch dem letzten Zuschauer: Das wird 13-mal so gehen. Danach müsste eigentlich Pause sein. Jesus sagt noch ein paar gewichtige Sätze wie: 'Ich mag Mädchen. Jungs mag ich auch. Ich mag Menschen.' Dann ist tatsächlich Pause und der Zuschauer schon bis zum Abwinken mit der Botschaft des Autors gefüttert: dass Jesus, hätten seine Biografen nur das entsprechende Problembewusstsein gehabt, als Vorkämpfer für die Schwulenbewegung in die abendländische Geschichte eingegangen wäre.

Dass mit 'Corpus Christi' das entsprechende Städtchen in Texas gemeint ist, spielt im Passionsdropping mit Bibelzitaten zum Mitschreiben weniger eine Rolle, als dass McNally permanent an der Kitschgrenze entlangschrammt."

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"Corpus Christi" - in Hamburg gab es kaum Aufregung und nur spärliche Proteste
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(-itz)- Die Aufregung im lutherischen Hamburg um die vermeintlich gotteslästerliche "Corpus Christi"-Vorstellung auf Kampnagel hielt sich bis zum Premierentag in Grenzen. In Karlsruhe, Ulm und Pforzheim wurden Gastspiele des Stadttheaters Heilbronn mit Terrence McNallys Passionsspiel über einen schwulen Jesus abgesagt. Aus Solidarität mit dem Theater, in das Bomben- und Morddrohungen geschickt wurden, organisierten Thalia Theater, Hamburger Kammerspiele und Kampnagel die Aufführung - vor allem um die Freiheit der Kunst gegen Intoleranz und staatlichen Eingriff zu verteidigen.

Die Proteste kamen spärlich. Beim Thalia Theater meldeten sich christliche Anrufer und forderten die Absetzung der Aufführung. Auch etwa 20 Briefe und Faxe bekam das Theater. "Sie hielten sich jedoch alle im sachlichen Rahmen", betont Pressereferentin Kirsten Kadenbach. "Sie wollten, dass wir "Corpus Christi" hier nicht zeigen, und fühlten sich in ihrem christlichen Glauben verletzt." Das Gemeinde- und Missionswerk "Arche" protestierte ebenfalls in diesem Sinn und sammelte mehr als 200 Unterschriften. Jürgen Flimm will sich aber nicht vorschreiben lassen, welche Stücke er spielt. "Ein anderes Stück von McNally, 'Meisterklasse' war hier ein großer Erfolg", sagte Kadenbach. "Wir haben auch Salman Rushdie, den Autor der 'Satanischen Verse', unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen zu uns eingeladen."

In der Kampnagel-Kasse verfluchte eine betagte, doch in gerechtem Zorn offenbar höchst vitale Gläubige den unschuldigen Kartenverkäufer bis zum Jüngsten Tag. Ansonsten berichtet Vertriebsleiter Jan Thede von ein paar kurzen und feigen Anrufen, "sie waren aber nicht so hart wie in Heilbronn". Eine angekündigte Mahnwache vor der Kulturfabrik musste mangels Gefolgschaft ausfallen. Der Hauptorganisator aus der Nähe von Heilbronn war zwar nach Hamburg angereist, doch die Fahrtkosten dämpften den Glaubenseifer seiner lieben Brüder und Schwestern. Und alleine dazustehen, war ihm wohl zu lächerlich. Kampnagel-Leiter Res Bosshart behielt Ruhe, hatte aber vorbeugend Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Er hielt Kontakt zur Polizei. An den Eingängen wurden die Zuschauer von vier Ordnern gefilzt. Auch die Handtaschen der Frauen wurden durchsucht. Nur wenige verirrte Christen hatten sich vor Vorstellungsbeginn singend und mit Potestplakaten auf dem Gelände versammelt. "Irret nicht", mahnten sie. Bis zur Pause der Vorstellung gab es keinerlei Zwischenfälle. Das Publikum blieb gelassen. Offenbar provoziert das Stück nur eine Minderheit. (HA)