Frankfurter Rundschau vom 28.06.2000

"Nicht mehr als Oberammergau auf Texanisch"
Kasseler Aufführung des Theaterstücks "Corpus Christi" ging ohne Störungen über die Bühne

Von Ralf Pasch

Von Morddrohungen, Demonstrationen und politischen Auseinandersetzungen über die Grenzen der Kunst begleitet ist am Montag das Skandalstück "Corpus Christi" in Kassel aufgeführt worden. Ein Großaufgebot an Polizei sicherte die Aufführung im voll besetzten Staatstheater.

KASSEL. "Pfui, Gotteslästerung!": Gebetsmühlenartig, immer die selben Worte wiederholend und eine große Glocke schwingend, läuft der katholische Pfarrer Winfried Pietrek vor dem Theatereingang auf und ab. In die Schlange derer, die sich von dem umstrittenen Stück "Corpus Christi" anlocken ließen, will sich der Pfarrer, der Christus als "Justiz- und Kulturopfer" erneut ans Kreuz geschlagen sieht, nicht einreihen: "Um zu wissen, wie ein Misthaufen stinkt, muss ich nicht die Nase hineinstecken".

Eher still ist der Protest von jenen Demonstranten, die sich mit Kerzen und Transparenten ("Christen gegen Verhöhnung Jesu") postiert haben. Und die Partei der Bibeltreuen Christen verteilt Faltblätter, in der sie Homosexualität als "Ursünde des Menschen" geißelt, auf die laut Bibel sogar die Todesstrafe stehe.

Der Musentempel ist aber weniger von Demonstranten, als vielmehr von Polizisten umzingelt. Und im Innern kontrolliert ein Sicherheitsdienst die Taschen der Besucher und tastet jeden mit einem Metalldetektor ab.

Stein des Anstoßes ist der Inhalt des von dem amerikanischen Autor Terence Mc Nally geschriebenen Stückes Corpus Christi: Das Leben des Teenagers Josua in der texanischen Kleinstadt namens Corpus Christi, in der auch der Autor seine Kindheit verlebte. Josua ist anders als die anderen - er kann nicht Baseball spielen und nicht tanzen, und er gibt sich nicht mit Mädchen ab, denn Josua ist schwul.

Mit seinen (ebenfalls schwulen) zwölf Freunden spielt er die Geschichte von Jesus und seinen Jüngern nach - mit allem, was die Bibel zu bieten hat. Auf der Bühne verschwimmen irgendwann die Grenzen zwischen Realität und Spiel, aus dem am Ende tödlicher Ernst wird. Josua wird an der mit Hochspannung geladenen Gitterwand eines Metallkäfigs gekreuzigt.

Die "fundamentalen Pfeiler des Christentums", die Nächstenliebe und die Gleichheit jedes Menschen vor Gott waren für Regisseur Harald Siebler erklärtermaßen wichtig. Er serviert das Stück allerdings in der Sprache der heutigen Zeit, gewürzt mit vulgären Ausdrücken und Bildern. So lässt er die betrunkenen Jünger zum Beispiel beim Abendmahl mit Rotwein gurgeln.

Perlenhaft sind Sieblers "Gags" aneinander gereiht, oft zu vordergründig und manchmal etwas langatmig. Etwa, als er gleich zu Beginn alle zwölf Jünger - splitternackt und nacheinander - unter einer Dusche taufen lässt.

Klar, dass das Werk auch in den USA für Furore gesorgt und Demonstranten auf den Plan gerufen hatte. Und auch bei der deutschen Erstaufführung in Heilbronn ging das Stück nicht ohne Tumulte über die Bühne: Demonstrationen und Berge von Protestbriefen, in denen "Corpus Christi" zum Beispiel als "abscheuliches Miststück" tituliert wurde. Eine islamische Hamas-Gruppe kündigte - gewissermaßen in fragwürdiger Solidarität mit den Christen gar an, eine Rakete auf das Heilbronner Schauspielhaus abzufeuern. Und eine der Aufführungen in Heilbronn musste wegen einer Bombendrohung sogar unterbrochen werden. In anderen Städten wurde das Stück offenbar auch auf Grund politischen Drucks abgesetzt.

In Kassel ging das Werk zwar ungestört über die Bühne, zuvor freilich war vor allem Intendant Christoph Nix, dessen Ablösung in CDU-Kreisen schon gefordert worden sein soll, persönlich das Ziel von Anfeindungen und mehr gewesen. Er und seine Familie waren sogar einer Morddrohung ausgesetzt. Und ein Mann aus dem erzkonservativen Raum Fulda (dessen Bischof Dyba zum Erstaunen vieler bisher öffentlich kein Wort über "Corpus Christi" verlor) erstattete Strafanzeige gegen Nix und die Schauspieler - wegen "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener". Auch die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck sah sich zu einer Stellungnahme veranlasst. Sieht sie doch in zentralen Passagen des Stücks "religiöse Gefühle massiv verletzt".

So sorgt das Kasseler Theater nach dem Theater um den Etat auch wieder auf der politischen Bühne für Furore. Nicht nur CDU-Oberbürgermeister Georg Lewandowski, sondern auch das hessische Kunstministerium missbilligten die Aufführung. Daraufhin sah sich Nix (der nach Wiesbaden zitiert wurde, sich aber dort nach Angaben des ministeriellen Sprechers krank meldete), "zum Abschuss freigegeben".

Es sei "ungeheuerlich", dass hierzu Lande auch nach 1945 noch Spielpläne an Theatern zensiert würden, sagte Nix gestern der FR. Deshalb habe er "Corpus Christi" trotz "dramaturgischer Schwächen" nach Kassel geholt. Auch die Zuschauer waren nicht alle von der Qualität des Stückes angetan: Es sei nicht mehr als "Oberammergau auf Texanisch" gewesen, sagte einer. Ein anderer hingegen fand "Corpus Christi" geradezu "spannend", weil er in der Bibel "einen reduzierten Jesus" und bisher "nirgendwo eine Aussage fand, dass es in seinem Leben auch Sex gegeben hat".

"Die Kirche kann davon lernen, denn ihre Häuser sind leer und hier wird zum Nachdenken angeregt", sagte der Filmbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Werner Schneider-Quindeau, nach der Aufführung in einer Podiumsdiskussion Er fühlt sich in seinen religiösen Gefühlen nicht vom Stück, sondern von denen verletzt, "die die Bibel instrumentalisierten".

Andere wie die Vorsitzende der Kasseler Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Eva-Maria Schulz Janberg, wurden "zum Nachdenken über eigene Positionen" angeregt. Die unterschiedlichen Positionen wurden in der anschließenden Diskussion übrigens ganz sachlich, in fast harmonischer Atmosphäre ausgetauscht. Und während da sogar die "grandiosen" Leistungen der Schauspieler gelobt wurden, gab es schlechte Kritiken für jene Politiker, die gegen das Stück gewettert hatten, "obwohl sie es nicht gesehen haben".

Dabei gab es jedenfalls aus der Sicht des Publizisten Olaf Brühl gar keinen Grund für die Aufregung: "So scharf, wie manche Altarbilder sind, ist die Inszenierung gar nicht geworden".

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