Süddetusche Zeitung vom 9.3.2000

Schwert Gottes

Weitere Eskalation im Theaterkrieg von Heilbronn

Eigentlich geht am Heilbronner Theater alles seinen ordentlichen Gang. Intendant Klaus Wagner leitet es seit Urzeiten und sorgt mit dezent provokativen Stücken immer mal wieder für Gesprächsstoff. Und jetzt das! Seit das nordschwäbische Theater die deutsche Erstaufführung von Terence McNallys " Corpus Christi" gewagt hat, eskaliert die Situation. In New York kam es zu Krawallen christlicher Glaubenseiferer, während die Inszenierung in London gar die Fatwa eines muslimischen Fundamentalisten nach sich zog. Das alles ist aber nichts gegen die Vorgänge in Heilbronn. Seit "Corpus Christi" dort auf dem Spielplan steht und Jesus Christus mitsamt seinen Jüngern als aufrechter Kämpfer für die Rechte der Homosexuellen auf der Bühne agiert, gibt es Drohbriefe sowie Bomben- und Mordankündigungen. Hauptzielpunkt sind der Theaterintendant und der neue Oberbürgermeister der Stadt, Helmut Himmelsbach.

Die nächste Aufführung des Stückes steht am Montag auf dem Spielplan. Termingerecht dazu ist im Heilbronner Bürgermeisteramt eine anonyme Bombendrohung der besonderen Art abgegeben worden. Verfasser ist eine angeblich neu gegründete "Hamas-Organisation", die waffentechnisch hochgerüstet sein will und vorgibt, eine ferngesteuerte Rakete in Stellung gebracht zu haben. Dass hinter der Drohkulisse tatsächlich muslimische Fundamentalisten stecken, wird von der Heilbronner Staatsanwaltschaft angezweifelt. Bestätigt wird, dass die Ermittlungen in vollem Gange sind. Auch seien im Bereich des Personenschutzes für den Theaterintendanten und Oberbürgermeister geeignete Maßnahmen getroffen worden. Das Stück steht noch bis Mai auf dem Spielplan. Aber selbst wenn man im Theater an eine Absetzung von "Corpus Christi" denken würde, wäre das unmöglich, da es in der aufgereizten Atmosphäre längst um eine Machtprobe der besonderen Art geht.

Auf der einen Seite wird nicht weniger als die Freiheit der Kunst, auf der anderen Seite die Verletzung religiöser Gefühle in die Waagschale geworfen. Und dabei scheuen christliche Fundamentaloppositionelle auch nicht davor zurück, mit radikalen und rassistischen Argumenten eine sofortige Absetzung des Stückes erzwingen zu wollen. Ausgelöst wurde die Lawine durch eine Unterschriftenaktion von Alexandra Mikoleiczik. Sie lebt in Wangen und hat aus der Allgäuer Idylle eine Kettenreaktion ausgelöst. Unterhält man sich mit ihr, spricht sie von einem Netzwerk, das ihr zur Verfügung stehe. Es handle sich hauptsächlich um katholische Laienorganisationen, die sich rund um Orte des Marienkults gebildet hätten. .Mit den militanten Auswüchsen ihrer Aktion allerdings will sie nichts zu tun haben. Da seien "Trittbrettfahrer" am Werk, sagt sie, ein wahrer Christ lehne Gewalt und somit auch verbale Gewalt ab. Die eigentlichen Brandstifter säßen im Heilbronner Theater und für solche Brandstifter gelte, was in der Bibel geschrieben stehe. "Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen." Auch da sind drohende Untertöne unüberhörbar, auch da wird aus den Turbulenzen um den Heilbronner "Corpus Christi" unversehens ein Lehrstück über unterschwellige christliche Militanz in deutschen Landen.

Einerseits könnte das Theater froh sein, derart öffentliches Interesse zu erregen. Andererseits war aber nicht damit zu rechnen, dass mit der Darstellung des Jesus als Homosexuellen tatsächlich eines der letzten Tabus berührt wird. "Homosexualität ist abartig und gegen die von Gott eingerichtete Natur", sagt Alexandra Mikoleiczik, während das Heilbronner Theater in einem Brief als " Erfüllungsgehilfe des Satans" und der Inhalt des Stückes als pathologischer See1enschlamm" bezeichnet wird. Verfasser ist ein "Kreis katholisch-apostolischer Tradition" in Cloppenburg. In einem anderen Brief werden alle Beteiligten an diesem "bis in die tiefsten Abgründe der Hölle stinkenden und alles bisher Dagewesene an Schmutz, Gemeinheit und übelster Niedertracht übertreffenden Theaterstück" davon unterrichtet, dass "Sie ihr Leben verwirkt haben".

Ob derartige Drohgebärden in tatsächliche Aktionen münden können, steht auf einem anderen Blatt. Ernst nehmen müsse man sie auf jeden Fall, meint Heilbronns Intendant Klaus Wagner. Und dass die Vorstellung am Montag unter den, von der Polizei notwendig gehaltenen, Sicherheitsvorkehrungen stattfinde.

Jürgen Berger